Sprechstunde beim @AssekuranzDoc: Dunkle Wolken für Finanzvertriebe

AssekuranzdocRezeptFinanzvertriebe

Jahrelang waren Finanzvertriebe eine Vertriebssäule der deutschen Assekuranz. Der Wind scheint sich zu drehen. Vertriebe haben an Stärke verloren. Das Image hat gelitten. Zwangsverkäufe haben zugenommen. Nun kommen ausgerechnet über die Alpenrepublik neue dunkle Wolken. Ist das dann schon das Aus der Vertriebe?

Mehr als zwei Jahrzehnte haben die sogenannten Vertriebe mit den drei oder vier Buchstaben einen Teil der Finanz- und Versicherungsbranche maßgeblich bestimmt. Mit jeweils mehreren Tausend Vermittlern wurde Millionen Kunden beraten. Zahlreiche Kunden wurden selbst als Tippgeber oder nebenberufliche Vermittler Teil des Pyramidensystems. Es schien nur noch aufwärts zu gehen. Und mancher Vertriebschef griff schon nach der „Weltmarktführerschaft“. Aber – Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall.

Der Bund zwischen Steueroptimierern und renditesüchtige Kunden

Oft ahnungslose Vermittler wurden noch vor nicht allzu langer Zeit mit Produkten auf Mandanten losgelassen, die sie selbst nicht verstanden. Aber man machte mit, wenn am Samstag massenhaft Kunden „terminiert“ wurden und zu Showveranstaltungen rund um das schnelle Geld eingeladen wurden. Kinosäle mit renditesüchtigen und Steuer-schlupflöcher suchenden Kunden wurden gefüllt. Kaum woanders war es möglich, mit wenig beruflichen Voraussetzungen zum schnellen Geld zu kommen.

Doch das Image der „Heilsbringer“ von den Vermögensberatungen bröckelte mit den ersten Kundenklagen. Ins Wanken gerieten die ersten dieser Vertriebe durch gerichtliche Urteile, weil Kunden in Größenordnungen Geld verloren und sich (im Nachhinein) falsch beraten fühlten. Recherchen der Medien aber auch manche Gerichtsverhandlung zeigten, das eher das Wohl der Initiatoren der Vertriebe als das der Kunden in Mittelpunkt der Vertriebsmaschinen stand. Davon zeugen noch heute manche Villen über den schönsten Stränden von Mallorca und anderswo.

Immer mehr der angeheuerten Vermittler wurde aber auch klar, dass das vermittelte Scheinwissen für eine nachhaltige berufliche Perspektive nicht genügt und die Verwandtschaft nicht endlos groß ist, um immer neue Abschlüsse zu tätigen. Die Fluktation der Berater setzte ein und verstärkte sich. Die Besten fanden schnell einen Neuanfang auf solider Basis, auskömmlicherem Einkommen und innerer Ruhe, ohne Angst vor dem Kunden, der merkt, was ihm an unpassenden Produkten „angedreht“ wurde.

Die Neurekrutierung von Beratern fiel und fällt schwer. Nicht zuletzt die gestiegenen fachlichen Anforderungen grenzten auch der Kreis der Bewerber ein. Der Fluktation der Berater folgte manche Führungskraft, die nicht nur in Geld- sondern auch in Gewissensnöte geriet. Die bröckelnden Pyramiden begannen stärker zu wanken.

Macht der Letzte das Licht aus?

Aus dem Wanken wurde ein Beben, als die Finanz- und Kapitalmarktkrise sowie die veränderten gesetzlichen Rahmenbedingungen die Provisionen für Kranken- und Lebensversicherungen beschnitten. Hinzu kam, dass früher sprudelnde Quellen aus Zuschüsse der Versicherer im Angesicht sich verstärkender Compliance-Regeln versiegten. Das Geschäftsmodell geriet in Gefahr. Nun wurde versucht umzusteuern.

Verkäufe von Vertrieben an Versicherer oder Beteiligungen kamen an die Tagesordnung. Andernorts versuchte man unter neuem Namen am Image und der Qualitätsschraube zu drehen. Fundiertere Schulungskonzepte, verbesserte Bezahlung der Berater, Beteiligungssysteme und
ein weniger marktschreierische Images wurden entwickelt. Beratungskonzepte wurden überarbeitet und -standards entwickelt, die führend für die gesamte Assekuranz sein könnten. Ein nachhaltiges Verhältnis zum Kunden mit einer regelmäßigen Betreuung wurde umgesetzt.

Ob dies noch hilft? Oder ist vielfach schon zu spät? Die wirtschaftliche Basis schrumpft. Umsatzrückgänge eines auf Neugeschäft getrimmten Vertriebsweges bis zu über 50 Prozent, gesunkene Gewinnen und ein im einzelnen katastrophales Image lassen sich nicht über Nacht beiseite rücken. Steria Mummert berichtete schon 2011 nach einer Befragung von 100 Führungskräften der Branche von einem sinkenden Trend der Intensivierung der Zusammenarbeit mit Vertrieben. „Nur 36 Prozent der Versicherer (wollten)… entsprechende Vertriebskooperationen mittelfristig forcieren. Vor drei Jahren lag die Bereitschaft noch bei 47 Prozent.“

Das scheint auch heute noch im Umfeld von immer stäkerer Regulierung aus Brüssel eine ganz klare Ansage zu sein: Die Zukunft gehört Maklern und Ausschließlichkeitsvertrieben. In welchem Umfang, das wird man noch sehen.

Neue Bedrohung für Vertriebe durch Provisionsurteil in Österreich

Das Umsteuern bei den großen Vertrieben könnte durch ein Urteil des österreichischen obersten Gerichtshofes bedroht sein und sich schnell auch in Deutschland herumsprechen. „Der Oberste Gerichtshof hat die Vergütungspraxis von Finanzvertrieben wie dem in der Finanzkrise arg in Verruf geratenen Strukturvertrieb Ex-AWD (heute Swiss Life Select) oder OVB gekippt“, wie derstandard.at berichtete.

Danach soll sowohl die Ablastung von Stornos auf die selbständigen Vertriebsmitarbeiter als auch das Vergütungssystem vom Vorschüssen nicht mehr zulässig sein. „Die vom (österreichischen) OGH festgeschriebenen Beweislastregeln sind …laut Zeitungsbericht derart strikt, dass das künftig nicht mehr möglich sein wird. Das wiederum könnte zur Folge haben, dass künftig Zahlungen nicht mehr sofort fließen. „Für Neulinge würde das bedeuten, dass sie sich nach dem Umstieg von einem fixen Job auf den ‚freien’ Maklerberuf auf eine längere finanzielle Durststrecke einstellen müssen. Bisher haben Strukturvertriebe Neulinge mit Vorschüssen gelockt“, wie derstandard.at weiter schreibt.

Das dürfte Wasser auf die Mühlen der deutschen Verbraucherschützer sein, denen das Modell der Vertriebe, egal ob mit gut oder gut ausgebildeten Beratern schon lange ein Dorn im Auge ist.

Mögen deshalb die Konzernlenker bei den deutschen Vertrieben der eingeschlagene Weg der Läuterung, der Qualität und einer nachhaltigen Kundenbeziehung fortsetzen. Das tut ihnen und der Branche gut und kann so helfen, das angeschlagene Image mittelfristig vergessen zu machen.

Ob es den Vertriebsweg als Ganzes retten kann bleibt zumindest fraglich.

Gerne diskutieren wir hier mit Ihnen zur Beratungspraxis der deutschen Finanzvertriebe.


Dr. Peter Schmidt Peter_Schmidt_Portrait Experte Personenversicherungen und Unternehmensberater im Bereich Versicherungen, Vertriebe und Makler mit langjähriger Erfahrung als Führungskraft und Vorstand bei deutschen Versicherern und twittert als „assekuranzdoc“. Besuchen Sie auch seine Webseite und werden Sie Fan von Dr. Schmidt auf Facebook.

In Kooperation mit der <br>INTER Versicherungsgruppe