Vor der Bundestagswahl: Top-Angst Euro-Schuldenkrise – doch in Deutschland mehr Vertrauen in Arbeit der Politiker
Steigende Lebenshaltungskosten, zunehmende Naturkatastrophen und drohende Pflegebedürftigkeit im Alter bedrücken die Mehrheit der Deutschen
PRESSEMITTEILUNG Berlin, 5. September 2013. Überraschendes Ergebnis der R+V-Langzeitstudie „Die Ängste der Deutschen 2013“ vor der Bundestagswahl: Die Befürchtung, dass die Politiker von ihren Aufgaben überfordert sind, ist gegenüber dem Vorjahr um 10 Prozentpunkte zurückgegangen und mit 45 Prozent auf dem bisher niedrigsten Stand. „Das ist erstaunlich, zumal gerade vor Bundes- tagswahlen diese Werte regelmäßig nach oben gingen“, so Rita Jakli, Leite- rin des Infocenters der R+V Versicherung, auf der heutigen Pressekonferenz in Berlin. Weitere Highlights der Studie: Rund zwei Drittel aller Bundesbürger fürchten, dass der Steuerzahler die hohen Kosten der Euro-Schuldenkrise bezahlen muss. Sehr große Angst lösen auch steigende Lebenshaltungskosten und zunehmende Naturkatastrophen aus sowie das Risiko, im Alter als Pflegefall zu enden.
Seit mehr als 20 Jahren befragt das R+V-Infocenter in einer repräsentativen Studie rund 2.500 Bürger nach ihren größten Ängsten. Ergebnis: Die Deutschen sind wie schon im vergangenen Jahr relativ gelassen. Der Angstindex – der Durchschnitt aller langjährig abgefragten Ängste – stieg um 1 Prozentpunkt, bleibt mit 41 Prozent jedoch auf niedrigem Niveau. Bei den 16 Standardfragen ist die Furcht vor steigenden Lebenshaltungskosten mit 61 Prozent (Vorjahr: 63 Prozent) zum 14. Mal auf Platz 1 – und damit der Dauerbrenner bei den Ängsten. „Weil viele Lebensmittel teurer werden, ist die gefühlte Inflationsrate ungleich höher als die tatsächliche Inflationsrate von etwa zwei Prozent“, so Professor Dr. Manfred G. Schmidt, Politologe an der Universität Heidelberg und Berater des R+V-Infocenters. Hinzu kommt: „Trotz Lohnerhöhungen haben viele Arbeitnehmer real weniger Geld zur Verfügung. Dafür sorgen auch steigende Gebühren für öffent- liche Leistungen oder höhere Kosten für Strom und Benzin.“ Auf Rang 2 liegt mit 56 Prozent die Sorge vor zunehmenden Naturkatastrophen – dicht gefolgt von der Furcht, im Alter als Pflegefall zu enden (55 Prozent).
Auffallend: Angst vor Überforderung der Politiker massiv gesunken
Die Überraschung der diesjährigen Ängste-Studie: Die deutschen Bürger machen sich um die Überforderung ihrer Politiker weniger Sorgen als bisher. Im Vorjahr mit 55 Prozent noch auf Platz 2 der größten Sorgen sinkt diese Angst um 10 Prozent- punkte auf 45 Prozent und rutscht damit auf den 6. Rang. Im Jahr 2001 hat das R+V-Infocenter die Deutschen zum ersten Mal gefragt, ob die Politiker von ihren Aufgaben überfordert seien. Ihren Spitzenwert erreichte diese Sorge im Jahr 2003 mit 66 Prozent. Interessant: Vor Bundestagswahlen stieg der Wert immer an: 2002 um 6 Prozentpunkte, 2005 um 5 Prozentpunkte, 2009 um 4 Prozentpunkte. In der Langzeitbeobachtung zeigt sich ein Zusammenhang zwischen Wirtschaft und Politik: „Wenn die Furcht vor einer schlechteren Wirtschaftslage zurückgeht, sinkt auch die Sorge vor der Überforderung der Politiker“, so Professor Schmidt.
Euro-Schuldenkrise auf Platz 1 – Deutsche fürchten um ihre Ersparnisse
Reaktion auf die Turbulenzen im europäischen Wirtschafts- und Finanzmarkt: Seit drei Jahren ergänzt das R+V-Infocenter die 16 Standardfragen der Langzeitstudie um Sonderfragen zur Euro-Schuldenkrise. Und wie im vergangenen Jahr zeigt sich hier die größte Angst. Rund zwei Drittel (68 Prozent) aller Bundesbürger fürchten, dass sie letztendlich die Kosten der Krisenbewältigung schultern müssen. „Diese Angst ist verständlich“, so Professor Schmidt: „Das Schuldenkrisenmanagement der Europäischen Union kommt dem deutschen Steuerzahler schon jetzt teuer zu stehen. Bürgschaften, Kredite und Garantien für krisengebeutelte EU-Mitglied- staaten wie Griechenland oder die Kosten für die Bankensanierung in Zypern belaufen sich mittlerweile auf dreistellige Milliardenbeträge. Künftige Kosten- steigerungen sind sehr wahrscheinlich.“ Sehr hoch bleibt mit 53 Prozent auch die Furcht, dass die EU-Schuldenkrise den Euro gefährden könnte (2012: 65 Prozent).
Eine dritte Sonderfrage zeigt, dass die Folgen der europäischen Schuldenkrise weitere Sorgen schüren: Fast jeder zweite Deutsche (49 Prozent) hat Angst davor, dass niedrige Zinsen und Inflation seine Ersparnisse langfristig auffressen.
Rekord-Hochwasser verstärkt Furcht vor Naturkatastrophen
Nach den schweren Überschwemmungen Ende Mai und Anfang Juni in insgesamt sieben Bundesländern ist die Angst vor Naturkatastrophen wieder größer gewor- den (plus 4 Prozentpunkte). Mit 56 Prozent klettert sie von Platz 4 auf Platz 2 der Ängste-Skala, erreicht aber nicht den Rekordwert aus dem Jahr 2010. Nach dem Vulkanausbruch in Island und der verheerenden Ölpest im Golf von Mexiko war die Sorge mit 64 Prozent damals deutlich größer.
Angst vor dem Pflegerisiko steigt – Frauen machen sich mehr Sorgen
Die Sorge, im Alter als Pflegefall zu enden, treibt mehr als die Hälfte aller Deut- schen um. Mit einem Plus von 5 Prozentpunkten ist diese Angst am stärksten gestiegen und springt mit 55 Prozent vom fünften auf den dritten Platz der Ängste- Skala. In dieser Frage unterscheiden sich Männer und Frauen sehr deutlich: Die R+V-Studie zeigt, dass sich Frauen grundsätzlich mehr um persönliche Belange wie Krankheit oder Pflege sorgen als Männer. Das bestätigt auch die diesjährige Befragung. Während sich die Hälfte aller Männer davor fürchtet, im Alter anderen zur Last zu fallen, sind es bei den Frauen 59 Prozent. „Frauen reagieren sensibler, weil viele doppelt betroffen sind: zuerst als Pflegende in der Familie und später als Pflegebedürftige“, so Rita Jakli. „Außerdem sind sie im Pflegefall oft schlechter gestellt als Männer: Bei einer Untersuchung haben wir herausgefunden, dass jede dritte Frau keinen einzigen Cent in eine eigene Altersvorsorge einzahlt.“ Je älter die Befragten sind, desto größer ist ihre Angst vor dem Pflegefall. Ab 40 Jahren rückt das Thema in den Fokus und bedrückt fast zwei Drittel der Deutschen.
Deutsche Einigkeit: In Ost und West sind die Sorgen erstmals gleich groß
Stimmungshoch im Osten: In Ostdeutschland ist die Stimmung so gut wie zuletzt Mitte der 1990er Jahre – mit einem durchschnittlichen Angstniveau von 41 Pro- zent. Und erstmals in der Geschichte der R+V-Studie ist das durchschnittliche Angstniveau in Ost und West auf dem gleichen Level. Unterschiedlich ist weiterhin die Intensität der einzelnen Sorgen. So ist die Angst davor, dass alles immer teurer wird, im Osten beständig höher als im Westen. 2013 befürchten fast zwei Drittel (67 Prozent) der Bürger in den neuen Bundesländern, dass die Lebenshaltungs- kosten immer höher steigen, in den alten Bundesländern jedoch nur 59 Prozent. Dort sind hingegen „grüne“ Themen traditionell stärker verwurzelt und die Angst vor Naturkatastrophen dementsprechend höher (West 57 Prozent, Ost 52 Prozent). Der größte Unterschied zeigt sich bei der Furcht vor terroristischen Angriffen (West 45 Prozent, Ost 36 Prozent). Auf Rekordtief sind in den neuen Bundesländern die Ängste vor steigenden Arbeitslosenzahlen in Deutschland (40 Prozent) und davor, Opfer einer Straftat zu werden (25 Prozent).
Weitere Ergebnisse der Studie in Kurzform:
- Die Angst vor einer Verschlechterung der Wirtschaftslage ist um 2 Prozent- punkte gesunken, beschäftigt aber immer noch jeden zweiten Deutschen (Platz 4).
- Dem Thema Arbeitslosigkeit gilt nicht mehr die Hauptsorge der Befragten. Die Angst, den eigenen Job zu verlieren, ist zwar um 4 Prozentpunkte gestiegen, liegt mit 36 Prozent aber immer noch auf sehr niedrigem Niveau. Die Sorge um einen bundesweiten Anstieg der Arbeitslosigkeit ist mit 39 Prozent unverändert niedrig geblieben.
- Die Angst vor terroristischen Anschlägen ist mit 43 Prozent etwas größer als im Vorjahr, liegt aber dennoch nur auf Platz 7 und damit im Mittelfeld aller Sorgen.
- Trotz unvermindert hoher Scheidungsquoten bleibt die Angst vor dem Zerbrechen der Partnerschaft das Schlusslicht im Ängste-Ranking: Nur jeder fünfte Deutsche befürchtet eine Trennung.