Verband der Ersatzkassen: „Finanzierung der Krankenhausreform stärker in den Fokus rücken“

10 Punkte zu den Anforderungen an die Krankenhausversorgung in der Zukunft

PRESSEMITTEILUNG – Berlin, 11.09.2015: In Anbetracht des steigenden Finanzdrucks in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) muss bei der geplanten Klinikreform die Finanzierung stärker in den Fokus gerückt werden.

„Bei den Reformplänen fehlt eine umfassende Finanzierungsstrategie“, erklärte Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Ersatzkassen e. V. (vdek), auf einem Presseworkshop in Berlin. „In Anbetracht der zu erwartenden Kosten in Höhe von mehr als 8 Milliarden Euro bis 2020, muss dies dringend nachgeholt werden. Die Ausgaben der Reform müssen sonst über Zusatzbeitragssätze finanziert werden, die einseitig zulasten der Versicherten gehen.“

Darüber hinaus gebe es angesichts der Milliardenkosten der Reform keinen Spielraum für weitere Zugeständnisse an die Leistungserbringer, so Elsner. „Die Forderungen der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) gehen da erheblich zu weit.“

In einem 10-Punkte-Papier analysiert der vdek zudem die zentralen Probleme in der Krankenversorgung, bewertet die Lösungsvorschläge im Rahmen der geplanten Reform und stellt zusätzliche Forderungen auf, wie die Krankenhausversorgung zukunftssicher gestaltet werden kann:

Thesen zur Krankenhausversorgung heute und morgen

  1. Seit der Einführung des DRG-Entgeltsystems im Jahr 2003 hat es in Deutschland keine Krankenhausreform mehr gegeben. Dadurch haben sich Probleme in der Krankenhausversorgung angestaut. Dies zeigt sich auch in der Ausgabenentwicklung der GKV. Die GKV-Krankenhausausgaben sind in den letzten zehn Jahren um 42 Prozent gestiegen, und zwar von 47,51 Milliarden Euro auf 67,39 Milliarden Euro von 2004 bis 2014. Trotz gemeinsamer Verantwortung der Krankenkassen und Länder für die Krankenhausversorgung („duale Krankenhausfinanzierung“) haben sich die Länder aus ihrer Verpflichtung zur Investitionsfinanzierung zurückgezogen: Die Investitionsförderquote der Länder (prozentualer Anteil der Investitionsfördermittel an den Gesamtkosten) sank von rund 10 Prozent in 1993 auf rund 3,5 Prozent in 2013. Die Folge: Krankenhäuser finanzieren sich mehr und mehr über die GKV-Mittel zur Finanzierung der Betriebskosten – Geld, das eigentlich für die Versorgung der Patienten gedacht ist. Jährlich werden bereits jetzt mehr als drei Milliarden Euro der Investitionsausgaben aus GKV-Mitteln verdeckt finanziert („schleichende Monistik“).
  2. Diese verdeckte Finanzierung erfolgt durch Mengensteigerungen,
    d. h. immer mehr Patienten werden in den Krankenhäusern behandelt. Möglich wurde dies durch eine deutliche Reduzierung der durchschnittlichen Verweildauer, welche von 14 Tagen (1991) auf 7,5 Tage (2013) sank. Gleichzeitig stiegen die Fallzahlen von 14,5 Millionen auf 18,7 Millionen Fälle. Diese Zunahme hat zu einer Leistungsverdichtung geführt, was sich auf die Qualität der Versorgung und der „Pflege am Bett“ ausgewirkt hat. Denn mit dem Anstieg der Fallzahlen wuchs zwar die Zahl der Ärzte deutlich – seit 1991 von 109.000 auf 165.000 in 2013 -, die Zahl der Pflegekräfte nahm aber im gleichen Zeitraum nur von 389.000 auf 419.000 zu. Die etwa gleiche Zahl an Pflegekräften muss also nun deutlich mehr Patienten versorgen.
  3. Obwohl Deutschland im internationalen Vergleich viel Geld für die Gesundheitsleistungen (HCP-Studie 2015) ausgibt, haben wir international betrachtet „nur“ ein gutes, aber kein herausragendes Qualitätsniveau (OECD-Studie 2012). In den städtischen Regionen gibt es Überkapazitäten, die zur Überversorgung führen. Hier ist vor allem die fehlende Indikationsqualität („Ist die Behandlung notwendig bzw. medizinisch indiziert?“) das Problem. In dünn besiedelten, ländlichen Regionen hingegen können Versorgungsprobleme (Belegungsrückgänge, Personalmangel, Schließung von Krankenhausabteilungen) entstehen. Der Fallzahlrückgang führt in diesen Regionen zu Problemen bei der Ergebnisqualität („Wird das erwünschte Ergebnis erzielt?“). Auch zwischen den Krankenhäusern bestehen erhebliche Qualitätsunterschiede. Außerdem werden Mindestmengenregelungen zum Teil nicht konsequent angewendet. Beispiel: komplexe Eingriffe an der Speiseröhre: 68 Prozent der Krankenhäuser, die eine Zulassung für diesen Eingriff haben, erreichen die Mindestmengen nicht. Große Unterschiede gibt es zwischen den Krankenhäusern auch bei der Strukturqualität („Sind die Rahmenbedingungen richtig?“), der Prozessqualität („Wird die Leistung richtig erbracht?“) und der Ergebnisqualität.
  4. Die Krankenhausplanung auf Länderebene gibt keine Richtung vor, stattdessen werden gewachsene Strukturen bzw. unnötige Kapazitäten seit 1972 fortgeschrieben. Die bisherigen Planungskriterien sind zu abstrakt und werden zudem nicht bundeseinheitlich angewendet. Qualität wird als Planungskriterium nur vereinzelt und ansatzweise berücksichtigt. Zwar sind zahlreiche Zentren (wie z. B. Brust- oder Krebszentren) entstanden, doch die erwünschte echte Schwerpunktbildung hat nicht stattgefunden, da entsprechende Standardisierungen in der Krankenhausplanung fehlen. Zwölf Prozent der Krankenhäuser (231) rechneten 2014 mit den Ersatzkassen Zentrumszuschläge ab. Ähnliche Fehlentwicklungen gibt es im Bereich der Notfallversorgung. Die Krankenhausplanung gleicht deshalb einem Flickenteppich.
  5. Weitere Herausforderungen sind durch den demografischen Wandel und regionale Veränderungen zu erwarten. Die Bevölkerung wird zunehmend älter, zudem werden sich die Binnenwanderungen vom Land in die Stadt verstärken. Junge Menschen bzw. Arbeitskräfte ziehen in die Städte, ältere Menschen bleiben in den ländlichen Gebieten und müssen dort medizinisch betreut werden. Dadurch verändern sich die Versorgungsbedarfe. Dieser Strukturwandel vollzieht sich auch auf dem Arbeitsmarkt. Durch geringe Geburtenraten können Stellen nicht immer nachbesetzt werden.
  6. Das geplante Krankenhausstrukturgesetz (KHSG) enthält einige gute Ansätze, insbesondere was die stärkere Qualitätsorientierung in der Krankenhausplanung sowie den Strukturfonds anbelangt. Auch das Ziel, mithilfe eines Pflegestellenförderprogramms die Arbeitsbelastung des Pflegepersonals in Krankenhäusern zu senken, ist aus Sicht der Ersatzkassen grundsätzlich richtig. Bei allen drei Punkten kommt es nun entscheidend auf die Umsetzung an. Nicht ausreichend angegangen werden das Problem der Investitionskostenfinanzierung und das der Mengenbegrenzung. Dadurch werden zentrale Probleme der Krankenhausversorgung verschleppt.
  7. Erstmalig soll mit dem KHSG auch Qualität als Kriterium für die Krankenhausplanung gesetzlich festgeschrieben werden. So soll u. a. schlechte Qualität zu Konsequenzen bei der Planung führen. Allerdings fehlt in dem aktuellen Gesetzentwurf eine Regelung, die den Ländern verbindlich vorschreibt, diese Vorgabe auch anzuwenden. Zur Schließung von Abteilungen oder gar ganzen Krankenhäusern durch die Länder wird es daher eher selten kommen. Den Krankenkassen fehlt zudem die Rechtsgrundlage, im Rahmen der Budgetverhandlungen mit den Krankenhäusern bei mangelnder Qualität den Ausschluss von Leistungen durchzusetzen. Als sehr problematisch bewerten die Ersatzkassen die vorgesehenen Abschläge für schlechte Qualität. Qualitativ unzureichende Leistungen sollten nicht geringer vergütet, sondern vielmehr aus der Versorgung ausgeschlossen werden.
  8. Durch die Einrichtung eines Strukturfonds beim Bundesversicherungsamt (BVA) sollen Überkapazitäten abgebaut, stationäre Versorgungsangebote konzentriert und Umwidmungen von Krankenhäusern (z. B. in Medizinische Versorgungszentren) ermöglicht werden. Der Strukturfonds soll mit 500 Millionen Euro aus dem Gesundheitsfonds finanziert werden, Länder und ggf. Krankenhausträger sollen sich in gleicher Höhe beteiligen. Wenn das Geld richtig eingesetzt wird und auch die Länder die vorgesehenen Mittel bereitstellen, kann der Strukturfonds aus Sicht der Ersatzkassen den notwendigen Strukturwandel in der Krankenhauslandschaft einleiten, zu einer Konzentration von Leistungen an ausgewählten Standorten und einer besseren Qualität führen. Ein Recht zur Antragstellung beim BVA haben allerdings nur die Länder. Für unentbehrlich halten die Ersatzkassen deshalb die vorgesehene Regelung, dass die Länder mit den Krankenkassen Einvernehmen über die Förderentscheidungen herstellen müssen. Hier sind auch die Krankenhäuser zu beteiligen. Außerdem sollten Konzentrationsprozesse und Umschichtungen (ambulant/stationär behandelnder Gesundheitszentren) im Fokus stehen. Die Fördermittel dürfen nach Auffassung der Ersatzkassen zudem nicht für bereits geplante bzw. beschlossene Schließungen bzw. Umwandlungen verwendet werden. Vor dem Hintergrund veränderter Bedarfe in der Zukunft werden durch den Strukturfonds allein die notwendigen Konzentrations- und Umstrukturierungsprozesse jedoch nicht umgesetzt werden können. Eine gemeinsame Krankenhausplanung der Länder, Krankenkassen und Krankenhausträger muss deshalb mit dem Strukturfonds Hand in Hand gehen, um die Probleme der Zukunft zu lösen.
  9. Durch ein neues Pflegestellenförderprogramm (mit Wirkung ab 2018: jährlich kumulativ bis zu 300 Millionen Euro) soll die Arbeitsbelastung des Pflegepersonals in Krankenhäusern verringert werden. Damit können laut Berechnungen des vdek pro Krankenhaus im Durchschnitt etwa zwei bis drei Pflegekräfte eingestellt werden. Die Intention des Gesetzgebers ist aus Sicht der Ersatzkassen richtig, allerdings muss sichergestellt werden, dass das Programm nachhaltig zu mehr Pflegepersonal für die „Pflege am Bett“ in den Krankenhäusern führt. Erfahrungen aus dem Pflegesonderprogramm (2009 – 2011) zeigen, dass die Umsetzung in den Bundesländern unterschiedlich und nicht von Dauer war. Diese Fehler dürfen nun nicht wiederholt werden. Die Nachhaltigkeit kann nur mittels einer Nachweispflicht, Kontrollen durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) und Sanktionsregelungen erreicht werden. Deshalb muss sichergestellt werden, dass die Fördermittel auch nach Ablauf des Pflegestellenförderprogramms zurückzuzahlen sind, wenn das Krankenhaus die geförderten Stellen wieder abbaut. Zudem bedarf es dringend einer umfassenden Personalstrategie, inklusive Ausbildungsoffensive und Imagekampagne, um die Attraktivität der Pflegeberufe mittel- und langfristig zu stärken. Hoffnungen setzen die Ersatzkassen hier in die geplante Einsetzung einer Expertenkommission, denn die Fördermittel müssen dauerhaft zur „Pflege am Bett“ eingesetzt werden.
  10. Die Finanzierung der Krankenhausreform muss wieder stärker in den Fokus gerückt werden. Laut Bundesministerium für Gesundheit soll die Reform 5,3 Milliarden Euro kosten, der GKV-Spitzenverband geht jedoch mittlerweile von 8,3 Milliarden Euro an Mehrkosten bis 2020 aus. Diese Zusatzausgaben gehen einseitig zulasten der Versicherten, da die Krankenkassen Kostensteigerungen seit der Einführung des neuen GKV-Finanzierungssystems durch die Politik zu Jahresbeginn 2015 nur noch über Zusatzbeitragssätze finanzieren können. Nach Berechnung des vdek werden die Zusatzbeitragssätze in der GKV um 0,2 bis 0,3 Prozentpunkte jährlich steigen; der Zusatzbeitragssatz – derzeit bei 0,9 Prozent – wird 2020 voraussichtlich bei 1,9 Prozent liegen. Die Ersatzkassen setzten sich daher für eine nachhaltige und faire Finanzierungsstrategie der Krankenhausreform ein. Diese muss beinhalten: (1) Die Wiederherstellung der paritätischen Finanzierung in der GKV durch eine Dynamisierung des allgemeinen Beitragssatzes von derzeit 14,6 Prozent. (2) Die Abschmelzung der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds auf 35 Prozent einer Monatsausgabe sowie die Festlegung einer Obergrenze bei diesem Wert. (3) Die Behebung von Wettbewerbsverzerrungen durch den Morbi-RSA, die zulasten der Ersatzkassengemeinschaft gehen.
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