Nachhaltigkeit und Rüstungsindustrie galten lange als unvereinbar. Waffen stehen für Zerstörung – nicht für den Schutz von Mensch und Umwelt. Daher war es für viele selbstverständlich, dass ESG-Fonds keine Rüstungsinvestitionen enthalten. Wenn überhaupt, wurden derartige Titel über konventionelle Fonds abgebildet.
Doch mit der sicherheitspolitischen Zäsur durch den Ukrainekrieg ändert sich das Bild – auch im Finanzsektor. Im April kündigte Allianz Global Investors (Allianz GI) an, bestimmte ESG-Fonds für Rüstungsinvestitionen zu öffnen. Die Begründung: Europa müsse seine Verteidigungsfähigkeit ausbauen – auch mithilfe privaten Kapitals. In einer Mitteilung erklärte das Haus:
„Die geopolitischen Ereignisse der letzten Jahre haben zu einem umfassenderen Umdenken hinsichtlich der Notwendigkeit von Investitionen in die europäische Verteidigungsarchitektur geführt.“
Die neue Offenheit bekommt regulatorischen Rückenwind. Laut einer Richtlinie der europäischen Finanzaufsicht ESMA vom Mai 2024 dürfen ESG-Fonds bis zu 20 Prozent ihres Vermögens in beliebige Wirtschaftsaktivitäten investieren – sofern gewisse Ausschlüsse (z. B. geächtete Waffen) eingehalten werden. Die verbleibenden 80 Prozent müssen auf nachhaltige Aktivitäten entfallen.
Wichtig: Die ESMA definiert damit nicht, ob Rüstung als nachhaltig gilt – sie überlässt die Entscheidung den Fondsanbietern selbst. Laut Magdalena Kuper, Leiterin Nachhaltigkeit beim Fondsverband BVI:
„Einige Fondsanbieter wollen auch in Zukunft keine Rüstungsinvestitionen in Fonds zulassen, die sie als nachhaltig vertreiben. Andere werden ihre Strategien überprüfen. Dies wird aber ein sensibler Prozess sein.“
DWS folgt – andere zögern
Neben Allianz GI hat auch DWS angekündigt, bestimmte Fonds mit Nachhaltigkeitsfiltern, die aber nicht explizit als ESG vermarktet werden, für Rüstungsinvestitionen zu öffnen. Diese Produkte sollen ausgewählte Titel aus dem Verteidigungssektor aufnehmen.
Andere große Anbieter zeigen sich zurückhaltend. So teilten Union Investment, Metzler Asset Management und Deka auf Anfrage mit, dass ihre ESG-Fonds weiterhin auf Rüstungsbeteiligungen verzichten. Die Deka reagierte auf den Bedarf stattdessen mit einem separaten Produkt: dem konventionellen Fonds „Security and Defense“, der seit Februar 2024 rund 140 Millionen Euro einsammelte.
Glaubwürdigkeitsrisiko für ESG – auch für Makler relevant
Die Öffnung von ESG-Fonds für Verteidigungsunternehmen wirft grundlegende Fragen auf – nicht zuletzt zur Glaubwürdigkeit des ESG-Labels selbst. Wenn ausgerechnet Waffeninvestments unter das Dach der Nachhaltigkeit rücken, könnte das Label „ESG“ für viele Anleger an Wert verlieren.
Für Makler und Finanzberater bedeutet diese Entwicklung eine neue Herausforderung. Sie stehen vor einem Dilemma: Einerseits steigt die politische und wirtschaftliche Relevanz von Sicherheitsthemen. Andererseits erwarten viele ESG-orientierte Kunden weiterhin klare Ausschlüsse.
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