Auf einer Fachtagung des Bundes der Versicherten (BdV) in Hamburg hat der Berliner Mathematikprofessor und Aktuar Karl Michael Ortmann deutliche Worte gefunden: Die Darstellung von Kosten in der privaten Altersvorsorge sei irreführend, die Effektivkostenquote „ein Laborwert ohne Praxisbezug“. Wie beim Abgasskandal werde mit idealisierten Bedingungen gearbeitet – in der Realität jedoch klaffe eine Lücke zwischen Modell und Kundenwahrnehmung. Denn um die Effektivkostenquote vergleichbar zu machen, müssten diverse Annahmen getroffen werden – etwa zur Rendite, Vertragslaufzeit, Fondswahl oder Stornoverhalten. Das Problem: Diese Rahmenbedingungen treffen auf viele Versicherte gar nicht zu. Ergebnis: Kleine prozentuale Unterschiede können Tausende Euro Differenz in der Auszahlung ausmachen – und bleiben für Kunden meist unsichtbar. Für Ortmann ist klar: „Die Kosten, die ausgewiesen werden, sind nie die tatsächlichen.“
„Rendite-Minderung statt Quote“ – und eine Forderung nach Kostendeckel
Für Ortmann ist der Begriff der Effektivkostenquote ohnehin ein Etikettenschwindel: Es handle sich nicht um eine echte Quote, sondern um eine mathematisch schwer nachvollziehbare Rendite-Minderung. Er fordert deshalb eine radikale Vereinfachung: Es solle nur noch zwischen einmaligen und laufenden Kosten unterschieden werden – Abschlusskosten maximal 1,5 Prozent der Beitragssumme, Verwaltungskosten maximal 5 Prozent. Der aktuelle Wildwuchs an Kostenarten diene nicht der Aufklärung, sondern der Verschleierung. Und die zentrale Frage, ob diese Intransparenz – ähnlich wie bei Dieselgate – irgendwann rechtlich relevant werden könnte, steht für Ortmann bereits im Raum. Seine Diagnose ist eindeutig: „Vollständige Kostentransparenz ist systemisch nicht möglich – aber regulatorisch dringend geboten.“
Langlebigkeitsrisiko als versteckter Hebel: So schmilzt die Rente
Besonders kritisch bewertet Ortmann die Kalkulation der Lebenserwartung in der Auszahlungsphase. Versicherer würden mit den Sterbetafeln der Deutschen Aktuarvereinigung (DAV) arbeiten, die höhere Lebenserwartungen ansetzen als etwa die offiziellen Daten des Statistischen Bundesamtes. Beispiel: Ein 67-jähriger Mann soll laut DAV noch 25 Jahre leben, laut Statistischem Bundesamt aber nur 18. Die Folge: geringere Renten – da das Kapital auf mehr Jahre verteilt wird. Und das, obwohl gerade ärmere Bevölkerungsschichten, die sich private Vorsorge oft gar nicht leisten können, statistisch kürzer leben. Ortmanns Vorschlag: Würde die Altersvorsorge verpflichtend und steuerlich gefördert eingeführt, könnten die Versicherer das Langlebigkeitsrisiko abgeben – und sich auf ihre Kernkompetenz fokussieren: den Vertrieb. Bis dahin aber bleibt die Diskrepanz zwischen Modell und Wirklichkeit – zum Nachteil der Kunden.
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