Bürgerversicherung – Chance oder Risiko für das Gesundheitssystem?

Die Diskussion um die Einführung einer Bürgerversicherung wird immer lauter, vor allem im Hinblick auf die wachsende Ungerechtigkeit im deutschen Gesundheitssystem. Prof. Dr. Heinz Rothgang, Gesundheitsökonom an der Universität Bremen, weist darauf hin, dass Deutschland als einziges OECD-Land über ein System verfügt, das es ermöglicht, sich vollständig von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu verabschieden – durch die private Krankenversicherung (PKV).

Diese Möglichkeit bleibt jedoch größtenteils einkommensstärkeren Gruppen vorbehalten, wie Selbständigen, Freiberuflern und Beamten. „Die Solidarität zwischen den Einkommensklassen wird dadurch erheblich gestört“, so Rothgang. Besonders auffällig sei, dass privatversicherte Personen im Durchschnitt ein doppelt so hohes Einkommen besitzen wie GKV-Versicherte und somit von der Einkommenssolidarität entkoppelt sind. Dies führe zu einer strukturellen Schwäche der Sozialversicherung und steigenden Kosten für die gesetzlich Versicherten. Laut Rothgang könnte eine Bürgerversicherung hier eine Lösung bieten, indem alle Bürger unter gleichen Bedingungen versichert und alle Einkommensarten zur Finanzierung herangezogen werden.

Die kritischen Stimmen: Ein System, das seine Stärken verlieren würde?

Peter Abend, Sprecher der Betriebsratsinitiative „Bürgerversicherung? Nein danke!“ und Vorsitzender des Betriebsrats der Gothaer Krankenversicherung AG, sieht die Einführung einer Bürgerversicherung kritisch. In einem gut funktionierenden dualen System, das gesetzliche und private Krankenversicherung kombiniert, sieht er die Stärken des deutschen Gesundheitssystems. Private Krankenversicherungen tragen laut Abend rund 20 Prozent der Gesundheitsausgaben bei, was vor allem Ärzten und Krankenhäusern zugutekommt. Eine vollständige Abschaffung der PKV würde nicht nur diese Mehreinnahmen gefährden, sondern auch zu einem erheblichen Arbeitsplatzabbau führen – in den privaten Versicherungen sowie in der gesamten Gesundheitsbranche. Die Befürchtung: Rund 75.000 Arbeitsplätze könnten verloren gehen, was vor allem Beschäftigte im Gesundheitssektor betrifft. Abend warnt, dass ein Umbau des Systems in eine Einheitskasse auch die demografischen Herausforderungen nicht lösen könne – die Zahl der älteren Menschen wachse, die Zahl der Beitragszahler nehme jedoch ab.

Die Realität der Finanzierung: Drohende Belastungen für die gesetzliche Krankenversicherung

Das Problem der Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen bleibt auch bei der Einführung einer Bürgerversicherung bestehen. Bis 2035 wird die Zahl der über 67-Jährigen auf rund 21 Millionen steigen, während die Zahl der Erwerbstätigen um 5,8 Millionen sinken wird. Die Umlagefinanzierung der GKV stößt hierbei an ihre Grenzen, da das System darauf angewiesen ist, dass immer mehr Beitragszahler für die steigenden Ausgaben der Älteren aufkommen. Bei der PKV hingegen könnten Rücklagen gebildet werden. In einem System der Bürgerversicherung, in dem alle in eine gemeinsame Kasse einzahlen, wären die erforderlichen Anpassungen an die demografischen Veränderungen nicht ohne weiteres möglich, wie Experten warnen. Statt einer radikalen Umstellung könnte laut Abend eine Verbesserung des bestehenden dualen Systems mit gezielten Anreizen zur privaten Gesundheitsvorsorge eine gangbare Lösung darstellen.

Quelle

In Kooperation mit der
INTER Versicherungsgruppe