AOK-Bundesverband: EU-Verordnung für Medizinprodukte muss in Deutschland nachgebessert werden

PRESSEMITTEILUNG – 26.05.2016 – Skandale wie minderwertige Brustimplantate oder zu schnell brechende Hüftgelenke sollen durch eine neue EU-Verordnung für Medizinprodukte in Zukunft vermieden werden. Darauf haben sich Vertreter des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission am Mittwochabend (25. Mai) verständigt. „Strengere Regeln bei den Hochrisikomedizinprodukten sind längst überfällig. Einige der jetzt beschlossenen Regelungen sind ein Schritt zu mehr Patientensicherheit. Aber viele wichtige Vorschläge fanden auf EU-Ebene leider keine Mehrheiten. Die Bundesregierung sollte jetzt nachjustieren, wo es geht“, sagte Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes.

Dazu gehört vor allem die Forderung nach verpflichtenden Haftpflichtversicherungen der Hersteller, mit denen Patienten im Schadensfall finanziell abgesichert sind. Die neue EU-Verordnung beschränkt sich bisher darauf, dass Hersteller angemessene Rücklagen für den Fall von Haftungsansprüchen durch fehlerhafte Produkte bilden sollen, und zwar ohne dass dies konkretisiert wird oder nachprüfbar ist. „Wenn Patienten unter den Folgen fehlerhafter Medizinprodukte leiden, dürfen sie nicht auch noch finanziell im Regen stehen. Sollte es dabei bleiben, muss Deutschland dringend eine eigene Pflichtversicherung für Hochrisikomedizinprodukte schaffen“, forderte AOK-Vorstand Litsch.

Laut EU-Verordnung sollen zukünftig die Identifizierungsnummern aller Medizinprodukte so vorgehalten werden, dass bei einer schadhaften Serie alle Betroffenen informiert werden können. Verbesserungsbedarf gibt es jedoch auch hier. „Die verpflichtende Einführung von Identifizierungsnummern ist sehr sinnvoll, auch wenn die praktische Umsetzung Jahre dauern wird“, sagte Litsch. Akuter Handlungsbedarf bestände jedoch schon heute an anderer Stelle. Bislang wissen die Krankenkassen im Schadensfall nicht, welche ihrer Versicherten betroffen sind und können daher weder alle Versicherten umfassend und effizient beraten, noch die Behandlungskosten im rechtlich gebotenen Umfang regressieren. In der Folge gehen viele geschädigte Patienten leer aus und die gesamte Versichertengemeinschaft wird mit den medizinischen Folgekosten belastet. Um dies zu verbessern, müssen den Kassen die konkreten Produktinformationen patientenbezogen unabhängig von der Einführung der Identifikationsnummern standardmäßig übermittelt werden. „Nur so können wir unsere Versicherten unterstützen und das Wirtschaftlichkeitsgebot der Krankenversicherung umsetzen“, so Martin Litsch weiter.

Die Prüfung von Hochrisikomedizinprodukten verbleibt auch mit der neuen EU-Verordnung bei den privatwirtschaftlichen „Benannten Stellen“. Zusätzlich soll eine von Fall zu Fall einberufene, international zusammengestellte Expertengruppe die Unterlagen vor einer Marktzulassung prüfen, deren Ergebnisse jedoch keine Verbindlichkeit für die „Benannten Stellen“ haben. „Die EU-Verordnung ändert nichts daran, dass die ‚Benannten Stellen‘ von Wirtschaftsinteressen abhängen. Deshalb ist die AOK im Sinne der Patientensicherheit nach wie vor für eine zentrale Zulassungsstelle. In Deutschland sollten wir dringend über eine generelle Nutzenbewertung für Medizinprodukte sprechen, die die Erstattungsfähigkeit durch die GKV regelt. Was für Arzneimittel gilt, muss auch für Hochrisikomedizinprodukte gelten“, so Martin Litsch.

Sein Fazit der EU-Verordnung fällt deshalb nüchtern aus: „Bei der EU-Verordnung für Medizinprodukte haben sich die Patienteninteressen nur an wenigen Stellen durchsetzen können. Was wir dringend brauchen, sind wirksame Kontrollen und Strafen, damit diese Ansätze nicht auch noch von der Industrie unterwandert werden können.“

Die Gesundheitsminister der EU-Mitgliedsstaaten werden die Einigung zur EU-Verordnung in ihrer Ratssitzung am 16. Juni 2016 bestätigen. Die offiziellen Zustimmungen im Europäischen Parlament und Rat wären dann nur noch Formsache. Die Verordnung könnte im zweiten Halbjahr 2016 veröffentlicht werden und in Kraft treten. Sie muss nicht mehr in nationales Recht umgesetzt werden, kann aber in Teilen von den einzelnen EU-Mitgliedsländern ergänzt werden. Die neuen Regelungen sollen nach einer Übergangsphase von drei Jahren gelten.

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