Sprechstunde beim @AssekuranzDoc: Der Tabubruch mit der App

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Um 7.23 Uhr 9,7 Kilometer im Park gelaufen. Zwischen 17 und 18 Uhr 1.057 Kilokalorien verbrannt. Solche Mitteilungen kann man heute von Freunden und Bekannten über das Internet erhalten, wenn der sportliche Mensch eine entsprechende App nutzt und diese Informationen für den Bekanntenkreis öffnet. Aber jetzt will eine Versicherung Kunden so überwachen und kontrollieren. Grund sich damit hier zu befassen.

Die moderne Technik macht es möglich. Kleine Softwareapplikationen, landläufig nur noch App genannt, machen fast alles möglich, was die Freizeit der Menschen begleitet. Spiele, Kochrezepte, Shopping to go oder auch Sport. Kein Bereich mehr, der nicht mit einer App noch interessanter wird. Auch den Gesundheitsbereich haben die Apps erreicht. Blutdruck und Puls messen geht mit Zubehör und App ebenso wie das Messen des Blutzuckers oder auch das kontrollierte Abnehmen.

Eine neue Qualität der Gesundheitsapps wird bald erreicht sein, wenn ab kommenden Jahr die Apple-Watch in Verbindung mit der „Health App“ nicht nur einzelne Parameter wie Schritte oder Laufen erfassen wird. Ernährung, Fitness, Körpermesswerte, Schlag und Vitalzeichen werden zusammengeführt und jenseits des Atlantiks zu einem komplexen Bild zusammengeführt.

Furcht vor kompletter Überwachung

Die durch Überwachsszenarien a la „Big Brother ist watching you“ angeregte Phantasie fragen sich natürlich immer, wer und wann auf diese Daten zurückgreifen kann. Transparenz ist meist Fehlanzeige, eine komplette Selbstbestimmung über die Daten ist durch Server jenseits des Atlantik Illussion. So enstehen Fragen: Zieht jetzt irgendjemand Schluß-folgerung daraus, dass ich nur drei Mal in der Woche Joggen war und nicht fünf Mal. Bin ich dann undiszipliniert? Oder habe ich zu viel Zeit, wenn ich zwei Mal in der Woche Golf spielen würde? Ist es verdächtig, wenn man nachts plötzlich einen stärkeren Kalorienverbrauch hat?

Eigentlich alles kein Problem, wenn jeder für sich selbst entscheiden könnte, ob und wann und wie er oder sie die Apps nutzt und die Daten beim Nutzer bleiben. Was aber, wenn die Daten an Firmen und Behörden gehen?

Überwachung der Versicherungskunden

Eine Meldung der „Süddeutsche Zeitung“ brachte eine neue Diskussion ins Rollen. Selbst in die ARD-Tagesschau schaffte es die Meldung, die inzwischen von zahlreichen Medien aufgegriffen wurde.

Die „SZ“ schrieb: „Als erstes großes Unternehmen in Europa setzt nun die Generali-Gruppe auf die elektronische Kontrolle von Fitness, Lebensstil und Ernährung. Für das sogenannte Telemonitoring kooperiert der Konzern mit dem südafrikanischen Versicherer Discovery. Discovery hat das Gesundheitsprogramm Vitality entwickelt, das Kunden mit Gutscheinen, Geschenken und Rabatten belohnt, wenn sie sich nur gesund verhalten.“

Eine Pressemitteilung mit Details zu der Meldung war von mir zum Zeitpunkt als diese Kolumne geschrieben wurde nicht im Web zu finden. Nehmen wir mal an, die Meldungen der SZ würden stimmen und schauen wir uns die Webseite von Discovery Vitality an.

Es sieht harmlos und schön bunt aus, was über Discovery Vitality zu sehen ist. Die Seiten quellen nur so über von Cashback-Angeboten für den Einkauf von gesunden Produkten, Rabatte für gewichtssenkende Nahrungsergänzungstoffe, Sportartikel und -programmen bis hin zum Raucherentwöhnungsprogramm.

Natürlich finden sich hier auch die in Deutschland seit einigen Jahren von anderen Versicherern eingeführten Ärzte- und Krankhaussuchdienste, Ratgeber für Medikamente und Vorteilsprogramme für Mitglieder der unterschiedlichen Tarifkategorien von „Classic Comprehensive“ bis „Essential Priority“.

Klar scheint, die Dienstleistungen und Vorteile gibt es nur für den Preis der Mitgliedschaft und der Bereitschaft sich im Alltagsverhalten kontrollieren zu lassen. Und genau da setzt die Kritik von Verbraucherschützern und auch ersten Politikern ein.

Kritik von Verbraucherschützern und Politkern

Die „Tageschau-Online“ greift die Kritik von Peter Grieble von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg auf, der das Vorhaben der Generali vor allem deshalb kritisiert, weil der Kunde gar nicht wisse, „wie seine Daten im Konzern verarbeitet würden, und wer Zugriff darauf habe.“

Christopher Lauer, Mitglied des Abgeordnetenhauses Berlin, geht mit seiner Kritik substanziell noch tiefer und fragt: „…wenn man schon mal damit anfängt, den Preis der Krankenversicherung durch persönliche Daten zu individualisiere, warum dort haltmachen?… Alles was individuell angepasst werden kann, wird individuell angepasst werden.“

Damit würde nach Ansicht von Experten die Versicherungsgruppe mit Stammsitz in Triest den Konsens deutscher Versicherungsphilosophie verlassen. Bisher galt immer: individuelle Risiken kollektiv absichern. Ganz neu sind solche Versuche nicht, dass Versicherer und Krankenkassen versuchen sich vor bestimmten Risiken zu drücken. Selektion nach Raucher und Nichtraucher, Selektion nach Übergewicht oder nach bestimmten Berufen kennen wir schon. Nicht vergessen ist auch der Versuch eines norddeutschen Krankenversicherers nur junge Männer zu versichern, die vor Versicherungsbeginn auch noch zu einem Ärzte-Check geschickt wurden.

Rosinenpickerei der modernen Art

Befassen wir uns aus der Sicht des kollektiven Absicherns von individuellen Risiken mit dem kritisierten Vorstoß der Generali. Unstrittig ist es, dass die persönlichen Voraussetzung für eine Versicherung erfasst und bewertet werden müssen. Bereits vorhandene Vorerkrankungen vor Versicherungsbeginn einer privaten Versicherung zu erfragen ist in bestimmten Grenzen legitim.

Es ist gut so, dass die Mehrheit der deutschen Versicherer bisher darauf verzichtet, Ergebnisse von Gentests oder auch Details aus dem zwischen-menschlichen Zusammenlebens abzufragen und bei der Annahme von Unfall-, Pflege -oder Krankenversicherungen mit zu berücksichtigen.

Wenn nun aber mit einer App kontinuierlich und dauerhaft das Alltags-verhalten abgefragt würde, wo sind dann die Grenzen. Was wird auf Dauer als gesundes Verhalten oder als Fitness bewertet? Ist das tägliche Lauftraining in der Stadt auf Steinplatten und Asphalt neben dem laufenden Autoverkehr gesund? Wie wird die heute als gesund geltende Ernährung in fünf oder zehn Jahren bewertet? Wer bekommt die Daten zur Auswertung? Was passiert bei Änderung des Alltagsverhaltens?

Gespannt dürfte man auch sein, wie sich so ein künstlich zusammen-gestelltes „Versichertenkollektiv“ kostenmäßig entwickelt. Stellen wir uns einige Tausend Versicherte vor, die alle Joggen und sich vegan ernähren. Man kann wohl ohne Prophet zu sein voraussehen, dass die Kosten für Gelenk und Knie-OPs schnell eine Nachkalkulation der neuen Gesundheitstarife mit sich bringen dürften.

Versicherungsschutz ist Vertrauensangelegenheit

Die angekündigte App und die damit verbundenen Ideen könnte bei der Generali eine Fortsetzung der eigenen „Neupositionierung“ am Markt sein. Der eigene Krankenversicherer Central wurde bereits 2006 mit dem Claim „Gesundheit bewegt uns“ versehen. 2012 wurde allerdings die eigene Vertriebsorganisation geschlossen, die Zusammenarbeit mit Maklern eingestellt.

Nicht alles was ertragsorientiert notwendig oder gewünscht und technisch möglich ist sollten Versicherer in Deutschland tun. Versicherungen haben in Deutschland eine wichtige sozialpolitische Funktion und genießen auch deshalb den Schutz und die besondere Berücksichtigung der Politik unseres Landes, wie das Lebensversicherungsreformgesetz erst jüngst wieder zeigt.

Das Ausschließen von Teilen der Bevölkerung aus den Möglichkeiten der privatwirtschaftlichen Versicherung mag am „grünen Tisch“ von Risk-management und Gewinnoptimierung eine Option sein, beschädigt aber die Akzeptanz der Kunden weiter, zerstört das Miteinander in unserer Gesellschaft und damit auch die Grundlagen des Sozialsystems in Deutschland.

Mögen die Versicherer nach ihrem eigenen Kodex handeln: „Versicherungsschutz ist für den Verbraucher eine Vertrauens-angelegenheit. Um dieses Vertrauen zu wahren, orientieren sich die Versicherungsunternehmen und der Versicherungsvertrieb an den Bedürfnissen des Kunden und stellen diese in den Mittelpunkt ihres Handelns“ – meint ihr AssekuranzDoc.


Dr. Peter Schmidt
AssekuranzDocExperte Personenversicherungen und Unternehmensberater im Bereich Versicherungen, Vertriebe und Makler mit langjähriger Erfahrung als Führungskraft und Vorstand bei deutschen Versicherern und twittert als @AssekuranzDoc. Besuchen Sie auch seine Webseite und werden Sie Fan von Dr. Schmidt auf Facebook.

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