Wie bedient man heute Kunden, die keine „Vollpfosten“ sind…?

Im ersten Teil seines Gastbeitrags hat Karsten Schiefelbein einen Blick in die Zukunft des Automobilverkaufs geworfen. Nun erklärt er, was das mit dem Versicherungsvertrieb zu tun hat.

Von Karsten Schiefelbein

Was hat meine kleine Geschichte vom Autokauf im Jahr 2020 mit dem Versicherungsvertrieb zu tun? Nun, ich stelle zunehmend fest, dass ich mich in meiner Tätigkeit in der generellen Außendarstellung unseres Berufszweigs überhaupt nicht mehr ansatzweise wiederfinde. Es wird stets davon ausgegangen, dass

  • der Kunde einen Berater für alles will (Rundumbetreuung).
  • der Kunde nur wenig oder gar nicht informiert ist und sich völlig passiv im Beratungsgespräch verhält.
  • dem Kunden grundsätzlich Produkte angeboten werden und dieser dieselben nicht aktiv nachfragt.

Meine Kunden aber stellen sich mehrheitlich völlig anders dar:

  • Sie suchen sich ihre Ansprechpartner selektiv, erledigen ihre „Brot- und Butter-Versicherungen“ (Hausrat, Haftpflicht etc.) online, greifen bzgl. ihrer Altersversorgung auf einen Rahmenvertrag des Arbeitgebers zurück, haben sich bzgl. ihrer sonstigen Vorsorge  beim Vermittler beraten lassen und kommen zu mir ausschließlich mit dem Wunsch, eine Baufinanzierung zu günstigen Konditionen abzuschließen.
  • sind oft bestens informiert (Internet, Fachpresse) und  haben sich bereits bei diversen On- und Offline-Anbietern sowie ihrer Hausbank diverse Angebote erstellen lassen.
  • treten nicht mit der Erwartung an mich heran, dass ich dafür garantiere, das beste Angebot aus 200 Banken auszuwählen (was in der Praxis ohnehin nicht funktioniert), sondern vergleichen selbst.
  • haben sich ihre Finanzierung bereits sorgfältig zusammengestellt, inkl. Excel-Tilgungspläne mit Sondertilgungen etc. (ich könnte hier -zig Beispiele liefern, teilweise werden Vorlagen aus dem Web genutzt, manche haben sogar selbst etwas programmiert).
  • kaufen als mündige Bürger Finanzprodukte aktiv ein und lassen sich nichts verkaufen.
  • verzichten oft auf einen persönlichen Kontakt, weil sie sich über die zeitgemäßen technischen Medien hinreichend gut kommuniziert fühlen.
  • sind zunehmend über die ganze „Belehrungs-Bürokratie“ genervt.

Was diese Kunden dann brauchen, ist jemand, der sich auf Augenhöhe ihres Wissensstandes um die professionelle Abwicklung kümmert (kaum ein Geschäftsbereich ist so von Unterlagen und Koordinierungsaufgaben mit dem Anbieter geprägt wie die Immobilienfinanzierung) und ergänzendes Fachwissen liefert. Jemand, der liefert und nicht labert. Wieviel Courtage dabei für uns abfällt, ist den Kunden völlig gleichgültig. Wäre sie zu hoch, scheitert mein Angebot sowieso. Der Vermittler wird damit zum Einkäufer, Partner und Koordinierer und nur ergänzend zum Berater; aus diesem Grund würde ich meine Zielgruppe als Honorarberater gar nicht erreichen (viel zu steif).

Natürlich wird sich dies bei anderen Vermittlern ganz anders darstellen. Ich akquiriere meine Kunden zum großen Teil über das Internet in Form aktiv anfragender Kunden, von daher gibt es da bereits eine gewisse Vorselektion zu Gunsten eines Kundentyps, der die Dinge gerne selbst in die Hand nimmt. Die Entwicklung des Online-Vertriebswegs im Allgemeinen zeigt aber, dass dieser Kundentyp offensichtlich vermehrt auftritt.

Trotzdem:

Achtung, kein Kabarett, es folgen tatsächlich Original-Zitate von uns vorliegenden Erläuterungen zum Kreditvertrag nach § 491 a Absatz 3BGB (Pflicht zur angemessenen Erläuterung):

  • Pflicht des Kredit-/Darlehensnehmers zur Tilgung und Zinszahlung
  • gegebenenfalls Hinweis, dass Zahlungen nicht der unmittelbaren Kapitaltilgung dienen

und mein absoluter Liebling (und ich frage mich bis heute, welche Substanzen der Autor dieses Satzes vorher zu sich genommen hat):

  • Verringerung der auf Seiten des Darlehensnehmers zur freien Verfügbarkeit stehenden Gelder, infolge der durch die Aufnahme des Darlehens entstehenden Zahlungsverpflichtungen gegenüber der Bank

Sie sehen:

In der Finanzbranche sind wir schon heute fast gänzlich im Szenario der kleinen Kurzgeschichte aus dem Autohaus im Jahre 2020 angekommen…

Zu fordern, derartigen Schwachsinn zum Inhalt eines Beratungsgesprächs machen zu müssen, ist für mich eine Beleidigung der Kundenintelligenz. Ich bin in über 20 Berufsjahren jedenfalls noch auf keinen „Vollpfosten“ gestoßen, der

  • nicht weiß, dass er für ein Darlehen Zins und Tilgung zu zahlen hat.
  • nicht weiß, dass die Rate auch einen Zinsanteil beinhaltet und daher die Restschuld nicht genau soviel sinkt wie die eingebrachte Rate (es sei denn, der Kredit ist zinsfrei).
  • nicht weiß, dass 1.000 € Kreditrate das verfügbare Haushaltseinkommen eben um diese 1.000 € mindert.

Es nervt mich, dass alle gesetzgeberischen Maßnahmen, Qualitäts-Offensiven und was weiß ich alles für Säue durch’s Dorf getrieben werden weder meinen Kunden noch mir selbst auch nur den geringsten Nutzen bringen, ganz im Gegenteil. Das Beratungsgespräch wird unnötig bürokratisiert und kostbare Zeit geht für hirnlose Formularflut drauf. Schlimmstenfalls fehlt dann für die wirklich wichtigen, anspruchsvollen Themen die erforderliche Konzentrationsfähigkeit auf der Kundenseite.

Verbraucherschützer, Juristen und sonstigen „Experten“ fühlen sich berufen, das typische „Kundenbild“ allein zu definieren, wobei diese ja auch über tägliche Beratungspraxis verfügen (zwinker…). Auf die Erfahrung der Vermittlerschaft wird per se verzichtet, weil diese ja sowieso nur ihrer Provision hinterherrennt.

Ich möchte mal behaupten, dass der von mir beschriebene, selbständig denkende Kunde im Vorstellungsvermögen dieser Meinungsmacher schlicht nicht existiert.

Die über die Meinungshoheit  verfügenden scheinen es sich zum Ziel gemacht zu haben, unsere Branche als Speerspitze hin zu einer Verbraucherbevormundung und -verblödung wie in der eingangs eingespielten Kurzgeschichte dargestellt auszubilden. Mangels schlagkräftiger Lobby und der permanenten öffentlichen Demütigung und Vorverurteilung scheint man in  der Finanzberatungsbranche selbst auf jegliche Gegenwehr zu verzichten, sprich sich seinem Schicksal zu ergeben. Da darf sich dann niemand wundern, was der Gesetzgeber so alles auf den Weg bringt.

Jedenfalls ist es für mich unvorstellbar, dass ein Ulrich Montomery als Präsident der Bundesärztekammer auch nur 10% der uns aufgebürdeten Aufklärungs- und Belehrungspflichten in seiner durch ihn vertretenen Ärzteschaft bereit wäre zu akzeptieren.

Was bleibt, ist die Frage:

Wie bedient man heute Kunden, die keine „Vollpfosten“ sind…?

 


Über den Autor

Karsten_SchiefelbeinKarsten Schiefelbein arbeitet seit 1990 in der Finanzbranche als Vermittler, seit 1996 existiert die mit seinem Partner Sascha Kopotsch gegründete CREATiVA Finanzmakler GmbH. Sein beruflicher Schwerpunkt ist die Immobilienfinanzierung, der seines Partners die Berufshaftpflichtversicherung für technische Berufe. Neben der eigentlichen Vermittlungstätigkeit prägen zunehmend selbst entwickelte EDV-Projekte seinen beruflichen Alltag, die er einerseits in der Beratung einsetzt und andererseits auch davon losgelöst der Allgemeinheit zur Verfügung stellt.

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In Kooperation mit der <br>INTER Versicherungsgruppe