Sprechstunde beim @AssekuranzDoc: Große Bürden für Lebensversicherer

Massive Kritik an EZB und Zinspolitik. Senkung der Abschlusskosten. Verhaltener Optimismus. Vertrauen der Kunden bewahren. So lauten die Schlagworte der Verantwortlichen für die deutschen Lebensversicherungen. Ist dies das berühmte Pfeifen im dunklen Wald aus lauter Angst? Dazu in dieser Kolumne einige Gedanken.

Der aktuelle Roman Quantum Dawn des Wirtschaftsjournalisten Thore D. Hansen zu fiktiven Gefährdungen der Finanzwelt verbreitet beim Leser ein ungutes Gefühl. Schreckensszenarien für die technische und globale Bedrohung der Wirtschaft und Politik schildern die Verletzbarkeit der globalen Wirtschaft durch Manipulationen und scheinbar hilflose Politik.

Was im Roman eine Fiktion zu sein scheint ist der Wirklichkeit wohl näher als man glaubt. Wie anders sollte GDV-Präsident Erdland vor wenigen Wochen zu verstehen sein, wenn er die Öffentlichkeit darauf vorbereitet, dass man 2015 nur einen moderaten Wachstumspfad erwarten soll.

Die größte Herausforderung blieben die weiterhin niedrigen Zinsen und die Geldmarktpolitik der EZB. Wenn Erdland davon spricht, dass man weiter hart an den Themen der Zeit arbeiten muss, dann ist dies diplomatisch formuliert ein großer Eisberg, auf den der Megakreuzer „Deutsche Versicherer“ zusteuert.

4,4 Billionen Anlagevermögen in Gefahr

Die deutsche Versicherungswirtschaft gehört mit rund 1,35 Billionen Euro zu den größten Investoren Deutschlands. Das gesamte Portfolio der europäischen Versicherer beträgt rund 4,4 Billionen Euro. Das sind Gelder, die in der Regel langfristig und sicher angelegt werden müssen. Kurzfristige Anlagereize oder eine verfehlte Geldmarktpolitik sind für dieses Ziel Gift.

Die langandauernde Finanzkrise, populistische Entscheidungen der Verantwortlichen in den Ländern der EU und auch verfehlte regulatorische Maßnahmen gefährden die Rolle der Versicherer als bedeutsame Investoren im europäischen Rahmen. Dazu gehört auch, dass Maßnahmen, die für Banken sinnvoll sein mögen, zu Versicherern mit Langzeitzielen für ihre Kunden nicht passen.

Die pauschalen Ziele von Solvency II passen oft nicht zu den langfristigen Zielen der Versicherer. So sollen beispielsweise langfristige Investitionen der Versicherer in Infrastrukturprojekte mit riskanten Kapitalanlagen von Hedgefonds gleichgestellt werden. Das bedeutet dann aber, dass diese Investments mit knapp sechzig Prozent Eigenmitteln unterlegt werden müssten.

Mit solchen unpassenden Regularien werden Investments in Infrastruktur-projekte in Deutschland oder Europa mit gut planbaren Einnahmen über viele Jahre aber wieder uninteressant. In der Konsequenz bedeutet das: Die politischen Rahmenbedingungen für Investments der Versicherer in der veränderte Welt der Niedrigzinsphase stimmen nicht. Was wird also, wenn in wenigen Monaten Solvency II scharf geschalten werden soll?

Damit sich die Versicherer sich im Interesse ihrer Kunden weiter bei der Finanzierung der Wirtschaft auch engagieren können und damit attraktive Renditen für die Kunden erwirtschaften können, müssen die Regeln für Versicherer auf Sicherheit und Langfristigkeit ausgerichteten werden.

Jeder zweite Versicherer zahlt drauf

Der internationale Währungsfonds (IWF) hat in seinen jüngsten Veröffentlichungen die Niedrigzinspolitik der EZB scharf kritisiert und die Gefahren für die deutschen Lebensversicherer bekräftigt. Neu in dem Statement ist, dass man nicht nur Gefahren für kleinere sondern auch für mittlere Versicherer besonders in Deutschland und Schweden sieht.

Bereits die Hälfte der deutschen Lebensversicherer zahlt höhere „Renditen“ aus als diese aktuell erwirtschaften können. Die Differenz zwischen den Zinsen aus Staatsanleihen und vor Jahrzehnten den Kunden versprochenen Garantiezinsen beträgt inzwischen zwischen drei und vier Prozent. Das Bedeutet, man lebt von Reserven, der Substanz und der Hoffnung auf Besserung der Situation irgendwann.

Das Problem des Missverhältnisses von ausgezahlten Leistungen und erwirtschafteten Renditen ist nicht neu. Auch schon vor den abgeschriebenen Staatsanleihen aus Griechenland äußerten einzelne Manager der Brache im „kleinen Kreis“, was kommen könnte. Die Vergleiche mit der langjährigen Niedrigzinsphase in Japan machten die Runde. Aber ebene auch die Meinung: Wir machen es anders, wir machen es besser.

Der IWF sieht die Lösung der Herausforderungen auch in einer stärkeren Regulierung der Produkte und einer besseren Aufsicht, wie es in einem Artikel vom „Handelsblatt“ heisst. Das klingt für die Kunden gut hat aber eben auch eine Kehrseite. Denn noch mehr Regulierung bedeutet nicht unmittelbar auch sinkenden Kosten, wie der Rückzug von immer mehr Versicherern aus „Riester“- und bAV-Produkten zeigt.

Eine Frage der Zeit: Prämien- und Leistungsveränderungen

Es scheint wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis die ersten Versicherer auf den § 163, Teil 2 Kapitel 5, des Versicherungsvertragsgesetzes zurückgreifen. Bisher wurden die darin aufgeführten Positionen in der öffentlichen Diskussion wenig beachtet und spielen wohl auch in den Beratungen der Vermittler kaum eine Rolle.

In Paragrafen 163 VVG heißt es:

„Der Versicherer ist zu einer Neufestsetzung der vereinbarten Prämie berechtigt, wenn

1. sich der Leistungsbedarf nicht nur vorübergehend und nicht
voraussehbar gegenüber den Rechnungsgrundlagen der vereinbarten
Prämie geändert hat,
2. die nach den berichtigten Rechnungsgrundlagen neu festgesetzte Prämie
angemessen und erforderlich ist, um die dauernde Erfüllbarkeit der Versicherungsleistung zu gewährleisten, und
3. ein unabhängiger Treuhänder die Rechnungsgrundlagen und die
Voraussetzungen der Nummern 1 und 2 überprüft und bestätigt hat.“

Wenn bisher das Thema Prämienerhöhung oder Leistungsreduzierung in wirtschaftlichen Notfallsituationen von Experten diskutiert wurde, dann richtete sich der Fokus vor allem den sogenannten“ Notfallparagrafen“ 89 des VAG (Versicherungsaufsichtsgesetzes).

Die möglichen Folgen aus dem §89 des VAG beschreibt Norman Wirth, Wirth Rechtsanwälte Berlin, so:

„Zur Vermeidung einer Insolvenz der Versicherungsgesellschaft kann die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) anordnen, dass die Versicherungsleistungen herabgesetzt werden. Die Versicherten müssten jedoch die Prämien in der bisherigen Höhe weiterzahlen. Es könnte also sein, dass der Versicherungsnehmer staatlich sanktioniert nur einen Teil der Versicherungssumme ausgezahlt bekommt. Das ist nicht gerade beruhigend.“

Nach § 169 des Versicherungsvertragsgesetzes werden die Möglichkeiten der Prämienerhöhung oder Leistungsreduzierung wohl sogar noch erweitert.

Wirth beurteilt die Möglichkeiten aus diesem Paragrafen so:

„Beim hier diskutierten Eingriff nach § 169 VVG kann eine Lebensversicherungsgesellschaft die Prämien erhöhen oder alternativ auf Verlangen des Kunden Leistungen absenken, wenn sich der Leistungsbedarf gegenüber der ursprünglichen Kalkulation verändert hat. Das betrifft auch eine Veränderung der Zinssituation. Eine Versicherung kann das nach Bestätigung durch einen unabhängigen Treuhänder selbst entscheiden! Das ist noch weniger beruhigend.“

Verantwortung und Haftung des Vermittlers

Aus den aufgeführten Szenarien erwächst – zur Zeit sicher noch theoretisch – mittelfristig ein weiteres Bedrohungsszenario für das Vertrauen der Kunden in die bestehenden Lebens- und Rentenversicherungen. Es ist dann nicht nur mit sinkenden Überschussbeteiligungen sondern sogar mit steigenden Prämien oder sinkenden Leistungen im worst case zu rechnen.

Noch bleiben in diesem Zusammenhang einige Fragen offen. Wann wird der erste „Sündenfall“ nach § 163 VVG eintreten? Wie wird sich dann das BaFin verhalten? Und – welche Konsequenzen wird dies für die Vermittler der Produkte dieses Lebensversicherers haben?

Stellen wir hier die Frage ob Vermittler und vor allem Makler in der Definition des § 60 VVG ihre Kunden auf diesen „Notausgang“ für Versicherer hinweisen und dies dann auch entsprechend dokumentieren sollten oder sogar müssen. Wir sind auf Ihre Meinung gespannt.

Fazit:

Die Risiken für das weltweite Finanzsystem haben zugenommen. Die daraus resultierenden Anforderungen an die Lebensversicherer sind enorm.

Auch bei einer wirtschaftlich weiterhin guten Situation für Deutschland sind die zu erwartenden Schwankungen der Weltwirtschaft durch regionale Krisen, Auseinandersetzungen um die Rohstoffbasis und zu erwartende höhere Zinsen in den USA nicht ausgestanden.

Es muss der deutschen und europäischen Politik gelingen die Rahmen-bedingungen für die Investitionen der Versicherer zu verbessern. Wenn es dieser Investorengruppe wieder besser geht dann können auch neue Produkte für die Altersvorsorge an Attraktivität und Vertrauen gewinnen.

Und warum soll es wie zum Höhepunkt der Bankenkrise nicht auch eine Staatsgarantie für die garantierten Leistungen der Lebensversicherer geben.

Für Vermittler sollte bei der Beratung rund um das Thema Altersvorsorge die unbedingte Notwendigkeit der Vorsorge aber auch die dokumentierte Transparenz zu den Möglichkeiten und Risiken der aktuellen Produkt-palette Priorität haben. Mit dem „Wegducken“ bei der Vermittlung von Vorsorgeprodukten wegen gesunkener Vergütung oder dem Meiden von Produkten, die aus den geschilderten Gründen keine hohen Garantiezinsen mehr versprechen können, wird der Vermittler seiner Verantwortung gegenüber den Kunden zumindest nicht gerecht –

meint Ihr AssekuranzDoc.


Dr. Peter Schmidt AssekuranzDocExperte Personenversicherungen und Unternehmensberater im Bereich Versicherungen, Vertriebe und Makler mit langjähriger Erfahrung als Führungskraft und Vorstand bei deutschen Versicherern und twittert als @AssekuranzDoc. Besuchen Sie auch seine Webseite und werden Sie Fan von Dr. Schmidt auf Facebook.

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