Sprechstunde beim @AssekuranzDoc: Zukunft oder Abgesang bei der Lebensversicherung?

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Für Kunden: Weitere Senkung des Garantiezinses aber Erhöhungder Beteiligung an den Risikogewinnen. Für Vermittler: Offenlegung und mögliche Senkung der Vergütungen. Für Versicherer: Eingriffe in die Bilanzierung und in den Wettbewerb. Im Eilzugtempo soll wieder am gescholtenen Kind der Branche herumreguliert werden. Ist das eine Chance für die Zukunft oder der Abgesang?

Es gibt historisch keinen Zweifel – die deutsche Lebensversicherung stand für Werte, die über Jahrzehnte und Jahrhunderte erarbeitet wurden. Die ältesten Lebensversicherer haben inzwischen eine Tradition in Fragen der Selbsthilfe für Tod und Alter seit fast 200 Jahren.

Erst in jüngerer Vergangenheit rückte statt der Versorgung der Hinterbliebenen das Thema der Auszahlungshöhe an die Versicherten selbst und damit das Thema der Rendite in den Vordergrund. Ein unsäglicher Wettbewerb mit Sparprodukten von Banken und Fondsgesellschaften begann und der Grundgedanke der kollektiven Absicherung geriet in den Hintergrund.

Die Entwicklungen des Kapitalmarktes in den letzten zehn Jahren, zunehmende Kosten durch immer stärkere Regulierung aus Brüssel und Berlin, der Wettbewerb mit den Finanzinstituten um Kunden und nicht zuletzt oft unsachliche Meinungsmache kritische Verbraucherschützer haben sichtliche Spuren bei der deutschen Lebensversicherung hinterlassen.

Dennoch wäre es zu einfach, Ursachen dieser schwierigen Situation nur „extern“ zu suchen. Fehlende Transparenz und Flexibilität, verzögertes Reagieren auf geänderte Kundenbedürfnisse gehören auf Seiten der Versicherungen mindestens ebenso auf den Tisch der Bewertungen wie falsche Unternehmensstrategien und kurzschrittige Vertriebssteuerung.

Zu letzterem gehörten „kanibalisierende“ Vertriebspraktiken der eigenen Ausschließlichkeiten ebenso wie die Zusammenarbeit mit Vertriebspartnern, die die Vergütungsmaximierung an Priorität 1 gesetzt haben.

Nun greift die Bundesregierung mit einem Reformpaket ein

Die Bedeutung des Investments der deutschen Lebensversicherer für den in- und ausländische Markt ist immens. Beispielsweise will die Allianz ihre Immobilienbeteiligungen auf 30 Milliarden EUR erweitern. Beteiligungen an Infrastrukturprojekten, Windparks, Pflegeeinrichtungen stehen auf dem Anlageportfolio vieler Versicherer.

Zahlreiche Unternehmensbeteiligungen der Versicherer mit Kundengelder wurden mit dem Ziel der Sicherung von höheren Renditen ausgeweitet. Das alles sind Milliardensummen an Kapital, mit dem die Wirtschaft arbeitet und aus dem Kunden Zinsen erwarten können, die mindestens über der Inflationsrate liegen. Dennoch scheinen viele Versicherer den entstandene Druck aus den Verpflichtungen aus „Altverträgen“, gesunkenen Renditen und einem veränderten Kundenverhalten nicht mehr allein bewältigen zu können.

Die Regierung greift ein und will das vorgelegte Maßnahmenpaket noch im Juni 2014 verabschieden. Wird es die Zukunft der rund 90 deutschen Lebensversicherer mit ihren über 40.000 Beschäftigen sichern?

„Mit dem am Dienstag (26.05.2014) in Berlin vorgelegten Gesetzentwurf sollen die an Verbraucher zugesagten Garantieleistungen gesichert werden. Die Versicherer wiederum werden bei der Ausschüttung sogenannter Bewertungsreserven entlastet. Hier muss ein kleinerer Kundenteil mit auslaufenden Verträgen mit gewissen Einbußen rechnen. Im Gegenzug müssen Unternehmen Kunden stärker an Risikogewinnen beteiligen“, so die F.A.Z. zum Reformpaket.

Verbände reagiert kritisch auf das LVRG

Seit Veröffentlichung des Rettungspaketes für die deutschen Lebensversicherungen gibt es Kritik von allen Seiten. So ist es für die Öffentlichkeit schon erstaunlich, dass die ansonsten enge Zusammenarbeit von Regierungsbehörden mit Fachleuten der Finanzbranche (manche bezeichnen dies auch als Lobbyismus) bei dem vorgelegten Referentenentwurf zum „Lebensversicherungsreformgesetz“ (LVRG) dieses mal auf Kritik des eigenen Verbandes stieß.

Der GDV kritisiert neben einem wieder einmal sehr ambitionierten Zeitplan zur Umsetzung des Reformpaketes (Start soll der 1.1.2015 sein) die neuen Vorschriften für die Bilanzierung und die Aktivitäten am Kapitalmarkt. Das sind tiefe Eingriffe in die Firmenpolitik der Unternehmen. Heftige Kritik gibt es auch für eine höhere Mindestbeteiligung an den Risikogewinnen. Diese „schränke den Spielraum der Unternehmen ein, Reserven zu bilden und Ertragsschwankungen – etwa durch anhaltende Niedrigzinsen – für ihre Kunden auszugleichen.“

Sollte das Reformpaket so kommen, wie es der Entwurf jetzt vorsieht, dann sind verschiedene Auswirkungen zu erwarten. Zunächst sind 5,19 Millionen EUR als Erfüllungsaufwand bei den Versicherern einzuplanen. Die wirkliche Kostenbelastung dürfte und ein Mehrfaches höher liegen.

Die stärker als zur Zeit als notwendig erachtete Senkung des Rechnungszinses auf 1,25 Prozent wird eher nur langfristig entlastende Wirkungen auf die Risikotragfähigkeit der Versicherer haben. Die Wirkungen auf Kunden und Vermittler sind eher schwer einzuschätzen.

Die geplante stärkere Regulierung wird die Attraktivität des Lebensversicherungsgeschäftes für Versicherer tendenziell senken. Renditeorienterte Kunden werden sich noch stärker aus diesen Vorsorgeprodukten der Lebensversicherer zurückziehen. Für konservative Kunden wiederum kann die garantierte Minimalrendite von 1,25 Prozent immer noch attraktiver sein als aktuelle Konditionen für Tages- oder Festgelder bei den Banken.

Vermittlerverbände wie BVK und AfW trösten ihre Mitglieder damit, dass „es zu keiner Deckelung der Abschlussprovisionen für Lebensversicherungen kommen wird.“ Das mag zwar stimmen, aber die Herabsetzung der bilanziellen Abrechenbarkeit der Abschlusskosten wird dennoch eine Spirale in Gang setzen, an deren Ende die Vergütungen für Vermittler geringer sein dürfte als heute üblich. Denn sowohl die Courtagen für „Maklervertriebe“ und Finanzdienstleister als auch die Provisionen für die eigenen Ausschließlichkeiten liegen deutlich jenseits der bilanziell dann noch möglichen 25 Promille.

Eins ist aber klar, wenn 25 Promille plus X als Vergütung kommen sollte, dann sichert dies definitiv nicht das finanzielle Überleben von vielen freien Vermittlern und gleich gar nicht von Serviceleistern wie den Maklerpools. Die Suche nach alternativen Einkommensfeldern dürfte damit neue Impulse erfahren. In dem Sinne hat BVK-Präsident Heiz recht, wenn er feststellte: „Hier wird sich auch zeigen, welche Versicherer zu ihren Vermittlern stehen und nicht das Lebensversicherungsreformgesetz vorschieben, um die Provisionen zu senken.“

Neue Produkte und ein neuer Run im Jahresendgeschäft werden kommen

Innovationsfähige Unternehmen werden dem Weg von Allianz, Ergo, Axa & Co. folgen und das Feld der klassischen Lebensversicherung verlassen. Mit neuen „chancenorientierten Vorsorgeprodukten“ wird man sich im Wettbewerb gegen Bank- und Bausparprodukte positionieren müssen. Manch kleinerer Versicherer wird dazu nur begrenzte Möglichkeiten haben, denn eine neue Regulierungswelle kosten nicht nur Millionen Euro sondern auch IT-Kapazitäten, die man in einem gewünscht „ruhigerem Jahr“ für die weitere Vorbereitung auf Solcency II gebraucht hätte.

Die „Großen“ der Branche verfolgen mit den neuen Produkten durchaus unterschiedliche Strategien in Bezug auf „garantierte Sicherheiten“.

Bleibt abzuwarten, wie Kunden und Vermittler darauf reagieren. Bei fehlenden Sicherheiten in Versicherungsprodukten ist der Weg zu reinen Bankprodukten oder einem direkten Investmentplan nicht mehr weit. Das wird Wirkungen auf den Wettbewerb haben, der bekanntlich nicht selten auch bei den schwächsten Marktteilnehmern zum „Aus“ führt.

Zu den Auswirkungen des Reformpaketes wird ein wiederholter Run (zum wievielten Male eigentlich in den letzten zehn Jahren?) im Jahresschlussverkauf mit dem „alten Rechnungszins“ von 1,75 Prozent gehören. Wieder einmal werden Kunden bedrängt werden, die „letzte Chance“ zu nutzen, statt langfristig und solide zu entscheiden.

„Fehlkonstruktion“ oder Versicherungskultur

Zahlreichen Kritikern ist das Vorsorgeprodukt Lebensversicherung schon lange ein Dorn im Auge. Undifferenzierte und einseitige Bewertungen sind an der Tagesordnung. Oft schaut auch der Eigennutz bei den Kritikern durch das wortreiche Gestrüpp undifferenzierter Betrachtungen.

Banken empfehlen Sparpläne mit geringen Verzinsungen. Verbaucherzentralen locken Kunden in „Minimalberatungen“ durch gebührenfinanzierte Modelle. Verbraucherschützer dürfen Tagesgelder ohne eigene Beratungshaftung als „Altersvorsorge“ titulieren. Und selbsternannte Finanzanalytiker verdammen Lebensversicherungen wie jüngst als „Fehlkonstruktion“ um Kunden in Aktienanlagen zu locken, egal ob es zum Anlageprofil passt oder nicht.

Einig sind sich diese Kritiker darin, dass Sparer auf klassische Kapitalversicherungen verzichten sollten und ihr Geld lieber in Aktiensparpläne investieren sollen. Bleibt die Frage, welche Lobby hier stärker ist. Die der Vernunft, der Diversifizierung und Angemessenheit oder die des schnellen Geldes auf Kosten der Kunden.

Natürlich ist es richtig, dass finanzielle Risiken aus dem plötzliche Tod von Familienangehörigen (wenn es denn solche gibt), aus dem Verlust der Arbeitsfähigkeit, Folgen von Unfällen oder Pflegezustand mit den sogenannten Risiko- oder biometrischen Produkten effektiv absicherbar sind. Diese lösen aber meist nicht das Problem der Vorsorge für das Alter. Und das geht in Anbetracht der erfreulich gewachsenen Lebenserwartung nur über Formen des Sparens, soweit die in Zukunft Bedürftigen es können und wollen.

Angesammelte Kundenvermögen über deutsche Lebensversicherungen mit ihren ganz spezifischen eigenen Sicherheitsmechanismen haben seit vielen Jahren dazu beigetragen, die Einkommenslücke bis ins hohe Alter zu reduzieren oder sogar komplett auszugleichen. Dieses gut funktionierende Angebot deutscher Versicherungskultur, um das uns viele Länder beneiden, sollte bewahrt werden.

Ob dies nun durch eine noch stärkere Regulierung der Versicherer oder eine weitere Reglementierung der Vermittler gelingen kann, bezweifle ich. Erwartungen an die Politik für eine steuerliche Entlastung vor allem junger Bürger, damit diese selbst fürs Alter überhaupt vorsorgen können, wurden durch ein überdimensioniertes Rentenpaket jüngst konterkariert.

Das vorgelegte Paket zur LVRG stabilisiert vielleicht den eine anderen Versicherer, aber die Attraktivität wird wohl auf keinen Fall gesteigert. So bekommt die Politik ein notwendiges Klima für Eigenvorsorge statt Verlass auf staatliche Almosen auf alle Fälle nicht in den Griff.

Oder wie sehen Sie das?

 


Dr. Peter Schmidt Peter_Schmidt_Portrait Experte Personenversicherungen und Unternehmensberater im Bereich Versicherungen, Vertriebe und Makler mit langjähriger Erfahrung als Führungskraft und Vorstand bei deutschen Versicherern und twittert als „assekuranzdoc“. Besuchen Sie auch seine Webseite und werden Sie Fan von Dr. Schmidt auf Facebook.

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